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Der West-Iran: Eine Welt für sich

Keiner hat es für möglich gehalten… und wir selbst waren bis zum Schluss auch unsicher, aber die Einreise in den Iran, mit unserem Medizin-Visum, funktioniert reibungslos (Touristenvisa wurden pandemie-bedingt zu unserem Einreise-Zeitpunkt noch immer nicht ausgestellt). Den türkischen Grenzbeamten kommt das zwar alles etwas suspekt vor und sie lassen sich von der iranischen Immigration erst einmal bestätigten, dass wir wirklich einreisen dürfen, bevor sie uns ausstempeln, aber das war es dann auch schon.

Die Haupt-Herausforderung besteht vielmehr im physischen Grenzübertritt: die Grenze bei Kapikoy/Razan ist für den kommerziellen LKW-Verkehr grundsätzlich gesperrt und auf iranischer Seite werden gerade neue Grenzgebäude gebaut. Es ist also alles ziemlich durcheinander und eine große Baustelle. Auch wenn wir uns in diesen Fällen selbst immer gern als Caravan sehen, haben wir doch die Ausmaße eines Lkws. Dementsprechend eng, sowohl in der Breite wie auch in der Höhe, und stressig ist die Durchfahrt für Shujaa. Karin winkt mich bei einem Wellblechdach Millimetergenau durch, aber das Dach verläuft leicht konisch, so dass wir schlussendlich doch unsere Astabweiser leicht verschrammen. An das Luft Ablassen in den Reifen zur Höhenreduzierung haben wir in dem Moment natürlich nicht gedacht. Wir wollten unseren hart erarbeiteten Grenzübertritt nicht ausgerechnet an einem Baustellendach scheitern lassen: aber schlussendlich ist auch Shujaa auf iranischem Boden.

Der Iran macht es uns, nach der unproblematischen Einreise, jedoch zum Start nicht gerade leicht. Eigentlich benötigt man mittlerweile bei einem Aufenthalt von mehr als zehn Tagen iranische Nummernschilder: ein entsprechendes Schreiben bekommen wir auch vom Zoll an der Grenze ausgehändigt, die aufgerufenen Gebühren überweisen wir sofort korrekt, was auch nicht gerade einfach ist. Nur keine der angesteuerten drei unterschiedlichen Polizei- bzw. Zulassungsstationen will uns die Nummernschilder geben. Im nahegelegenen Khoy kann man angeblich nur PKWs, aber keine LKWs zulassen, die schicken uns nach Orumiyeh. Das liegt aber nicht auf unserer Route, so denken wir, versuchen wir es in der nächsten Stadt. In Täbriz jedoch ist man nicht zuständig, da schon in einer anderen Provinz liegend, also doch auf nach Orumiyeh. Aber in der Provinzhauptstadt Orumiyeh verweist man uns wieder zurück nach Khoy, da nicht zuständig. Nachdem wir in Summe fast zwei Tage in diese Angelegenheit investiert haben, entscheiden wir es dabei zu belassen und zu schauen was kommt. Wir werden deswegen schon nicht im Knast landen.

Auch der Kauf einer SIM-Karte dauert einen guten halben Tag, da deutsche Pässe nicht im System eingelesen werden können. Die vielen hilfsbereiten Iraner haben allesamt, aus Anonymitätsgründen, mehrere SIM-Karten. Somit ist oft das zulässige Limit der Anzahl der Karten erreicht und ein Borgen ihrer Identität für unseren SIM-Karten Kauf ist deshalb nicht möglich. Aber irgendwann schickt ein junger, englischsprechender Iraner nach seinem Vater, der tatsächlich zehn Minuten später im Irancell Büro steht und uns seine Identität borgt.

Die Geldversorgung ist ebenfalls nicht einfach. Da der Iran, aufgrund der Sanktionen, komplett vom internationalen Zahlungssystem abgeschnitten ist, funktionieren keinerlei ausländische Kreditkarten (weder zur Geldbeschaffung am Cash-Automaten noch zum Bezahlen). Nur Bares ist Wahres, aber die mitgebrachten Euro oder USD müssen erst einmal getauscht werden. Banken machen das nicht und einen Geldwechsler in diesen touristenfreien Zeiten im Provinzstädtchen Khoy zu finden ist alles andere als einfach. Die Währungs-Umrechnung erschwert noch die Tatsache, dass auf den Geldscheinen zwar die offizielle Währung „Rial“ aufgedruckt ist, aufgrund der hohen Millionen-Beträge aber überall von „Toman“ gesprochen wird, wofür man 4 (oder waren es 5???) Nullen abziehen muss.

Nach diesen herausfordernden Anfangsproblemen fangen wir langsam an, den Iran in seiner ganzen beindruckenden Vielfalt und seinen Kontrasten genießen zu können. Die Gegend um die St. Stephanos Kirche, unmittelbar an der Grenze zur aserbaidschanischen Enklave Nachitschewan gelegen, gibt uns einen ersten Vorgeschmack auf die meist karge Gebirgswelt im Iran. Die Teppich-Hauptstadt Täbris beindruckt nicht nur mit einem der größten und schönsten Bazare des Irans, sondern auch mit starken Kontrasten zwischen Moderne und Tradition. Und der Orumiyeh Salz-See verdeutlicht in trauriger Weise die Konsequenzen menschlichen Eingriffs in die Natur: Innerhalb von nur 20 Jahren hat der See mit einer ehemaligen Größe von 10 x des Bodensees 95% seiner Fläche verloren, weil die Wasserzuläufe abgezweigt wurden. Iran verbraucht seit Jahrzehnten ein Vielfaches mehr an Wasser als zugeführt wird, u. a. aufgrund der zahlreichen prachtvollen, aber zu bewässernden Gärten, sowie der durch die internationalen Sanktionen bedingten Selbstversorgungswirtschaft, zu der natürlich auch die bewässerungsintensive Landwirtschaft gehört.

Mit dem Feuerheiligtum Takht-e-Soleyman, idyllisch in einsamer Bergwelt gelegen, und dem Mausoleum in Soltaniyeh, wo sich ein Nachfahre Dschingis Khans in einem riesigen Kuppelbau im 13. Jahrhundert hat bestatten lassen, besichtigen wir gleich zwei UNESCO-Weltkultur-Stätten an einem Tag.

Dann geht es in die Einsamkeit der beeindruckenden Bergwelt des Elburs Gebirge. Die schroffen, kargen Berge des Alamut Valleys, gepaart mit herbstlich gold-rot gefärbten Pappeln ergeben eine einzigartige Kulisse, die zum Träumen verleitet. Alles sieht aus wie in einem Märchental, das hervorragend auch ins Repertoire eines Locationscout für erstklassige Hollywoodfilme passen könnte. Doch dann holt uns die spektakuläre Serpentinen-Abfahrt auf kleinster Piste hinab ans Kaspische Meer wieder in die Realität zurück. Neben dem Sani-Pass in Lesotho sicherlich fahrtechnisch das Schwierigste, was wir bzw. Shujaa bisher meistern musste. Die Kurven sind so eng, dass wir manchmal zweimal reservieren müssen. Fahrer von kleineren Lkws und Autos beobachten das Schauspiel und fiebern mit. Kaum sind wir unten am Kaspischen Meer angelangt, fängt es in Strömen an zu regnen… Timing is everything! Den Regen hätten wir auf der steilen Schotterpiste in den Bergen nicht haben wollen …

Aber nicht nur des Wetters wegen verlassen wir den größten Binnensee der Welt schnell wieder: die Küste ist komplett zugebaut mit baufälligen Gebäuden in ehemaligem Ostblock-Look, dazwischen ein paar alte Villen vergangener Tage. Die wenigen, zugänglichen Strandabschnitte sind komplett vermüllt…. Da ist es unverständlich, dass dies eine der beliebtesten Urlaubsdestinationen vieler Tehraner ist.

Tehran selbst ist ein riesiger Molloch, mit geschätzten 15-20 Mio. Einwohnern. Die Straßen sind unglaublich groß. Sechs- und achtspurig verlaufen die Routen in die Stadt und die Fahrer achten auf keine Spuren. Sie fahren einfach so wie sie wollen. Von links und rechts kommend überholen sie uns mit minimalem Abstand. Keine Hand passt mehr dazwischen. Unsere Hände werden feucht. Nachdem unser, mit diesen Problemen angesteuerte, Standplatz im Norden der Stadt an der Tochal Seilbahn für LKWs gesperrt ist, haben wir das Vergnügen während der Rushhour und Dunkelheit komplett ans andere Ende der Stadt fahren zu dürfen, wo wir auf den riesigen Parkplatzflächen des noch riesigeren Khomeini-Mausoleums schlussendlich einen guten Stellplatz, mit direktem Metro-Anschluss ins Stadtzentrum finden.

Zwei sehr stressigen Fahr-Tagen folgt dann noch das Mammut-Programm „Tehran Sightseeing an einem Tag“. Bewusst, da wir schnell wieder in die Natur wollen. Aber dank gut funktionierender Metro finden wir nicht nur Zeit für die Hauptsehenswürdigkeiten (u. a. Golestan Palast und Niavaran Palast, wo der letzte Scheich im Rahmen der islamischen Revolution mit dem Helikopter vom Dach ins Exil geflohen sein soll), sondern besuchen noch eine Bekannte von Karin in ihrem schönen Appartement im Norden der Stadt.

10 Kommentare

  1. I saw your truck on your way to Shiraz. My curiosity made me change my way to follow you for a couple of kilometer. We make container based living rooms and it was such a surprise to see your fantastic car from such a close distance. I wish you enjoy your time in Iran.

    1. Hi Reza!
      Nice to meet you … what a surprise, that you followed us. Nice. And sad that we never met us. May be the next time …
      See you.
      Karin & Oliver

  2. Hoi ihr zwei, schön, dass es bei Euch geklappt! Genießt die Zeit!
    Wünschen Euch immer eine Handbreit im Tank! Wettermäßig und Zeitmäßig wird es perfekt passen! Bin gespannt!
    Man sieht sich mal!

    1. Hallo Martin,
      danke, das werden wir. Es ist einfach toll!
      Und, ja, das Wetter ist perfekt. Nicht auszudenken, wie es hier im Sommer ist …
      Liebe Grüße
      Karin & Oliver

  3. Hi Karin und Oliver,
    toll dass Ihr es geschafft habt.
    Wir wissen nicht ob Ihr Euch erinnert, wir haben uns in der Türkei auf der Rückreise aus Georgien kurz getroffen. Wir mit Landcruiser und Ihr mit dem großen MAN auf einem kleinen Parkplatz nicht so weit von Nemrut Dagi.

    Alle Achtung, neue Nummernschilder und was sonst noch. Das liest sich ja nicht gerade sehr ermutigend an. In den Iran zu fahren.
    Ein kompliziertes Procedere aber Ihr habt es geschafft. Toll. Wir wünschen Euch eine gute und sichere Weiterreise und viele schöne Erlebnisse.

    Wini und Gabi

    1. Hi Gabi und Wini!
      Toll, dass Ihr Euch gemeldet habt. Klar erinnern wir uns. Wo seid Ihr inzwischen?
      Ach, es ist doch immer was … man muss es sportlich nehmen und immer ist doch auch der Weg das Ziel. Dann geht es schon. Heute hatten wir einen Unfall, das war auch nicht eingeplant, wie auch, aber alles ok. Shujaa hat nur ein paar Kratzer und sind auch nicht schuld gewesen. Aber so ist jeden Tag was Neues…
      Liebe Grüße
      Karin & Oliver

      1. Hi Karin, das stimmt natürlich jeden Tag gibt es was neues. Meistens gute Sachen, glücklicherweise. Wir sind gestern nach zwei einhalb Monaten wieder gut zuhause angekommen.
        Hatten eine tolle Reise und soviel erlebt. Im März wollen wir wieder los. Bis dahin Freunde und Familie pflegen. Wenn Du mal Zeit hast, auch von uns gibt es einen Blog, nicht so perfekt wie Eurer, selbstgestrickt und auch nur unter unseren Freunden verbreitet. Aber wie gesagt wenn Du Lust hast
        https://www.toldi.online

        Gabi und ich wünschen Euch weiter eine tolle und erlebnisreiche Reise.

        1. Vielen Dank! Das schauen wir uns natürlich an!

  4. Toller Bericht, schöne Fotos und super Haarschnitt. Herzliche Grüsse

    1. 😂🙏

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