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Abenteuer Dempster: 900 km einsame Piste zum Polarmeer

Der sogenannte „Dempster Highway“ ist eine DER Pisten, die ein „Must-Do“ eines abenteuerlustigen Overlanders in Nord-Amerika ist. Mit dem Bau dieser Piste wurde 1959 gestartet und erst 1979 wurde sie, nach 750 km, im kleinen Eskimoort Inuvik beendet. Lange, sehr kalte Winter, Permafrost, viele Berge und Flüsse führten zu größten bautechnischen Herausforderungen! Dazwischen gibt es nichts außer traumhafte Landschaften, Tundra, Karibus, Bären, zwei Fähren über den Peel und den McKenzie River sowie zwei kleine Versorgungs-Stationen mit Treibstoff. Erst 2017 wurden dann die letzten 140 km von Inuvik ans arktische Meer – der Beaufort See – nach Tuktuyaktuk fertiggestellt. Näher an den Pol kommt man auf Straßen nirgendwo in Nord- oder Südamerika (auch wenn es von Tuktuyaktuk zum Nordpol immer noch über 2.000 km sind) und den Polarkreis überschreitet man schon auf ca. der Hälfte der Strecke.

Ein großes Abenteuer also, wobei die Piste selbst keine großen fahrtechnischen Herausforderungen für uns bereithält. Als Schotter-Allwetterpiste ausgebaut ist sie auch nach Regenfällen noch gut in Form und damit um ein Vielfaches besser zu befahren als z. B. die Trans-Amazonica durch den brasilianischen Regenwald, welches für uns bisher die größte Abenteuer-Piste auf unserer Weltreise war. Allerdings wird die aufgrund des Permafrost-Bodens teilweise sehr stark aufgeschotterte Piste, gerade auf dem letzten Stück von Inuvik nach Tuktuyaktuk, an den Rändern sehr weich… also dürfen wir auch bei Gegenverkehr nicht zu sehr an den Rand fahren, auch wenn es zur Vermeidung von Steinschlag verlockend ist. Ein Stück vor uns kam ein Auto in den tiefen Schotter, geriet ins Schleudern und überschlug sich. Außer ein paar blutende Wunden ist den, durch die geborstenen Fenstern völlig verdreckten, Insassen glücklicherweise nichts passiert und wir leisten Erste Hilfe. Karin wäscht die Wunden aus, desinfiziert sie und verbindet die Schnitte. Ein paar Globuli gibt es auch dazu. Das völlig demolierte Fahrzeug wird im Graben an Ort und Stelle zurückgelassen und ein anderes Fahrzeug nimmt die Insassen samt Gepäck mit. Hier im Outback zählen pragmatische Lösungen!

Die Herausforderungen liegen mehr in anderen Bereichen: ein technischer Defekt am Fahrzeug ist hier kaum zu beheben. Selbst unsere Versuche, einen durch Steinschlag entstandenen Riss in unserer Windschutzscheibe durch „Loch-Bohrung“ stoppen zu lassen, scheiterte an der mangelnden Kompetenz bzw. Werkzeugen der wenigen Hinterhof-Garagen… obwohl hier Steinschläge noch häufiger als platte Reifen vorkommen und man dies z. B. in Afrika an jeder Straßenecke machen lassen kann. Die Windschutzscheiben hier sehen entsprechend aus. Man fährt so lange damit, bis sie auseinanderbersten. Die nächste größere Stadt – Whitehorse – liegt 1.500 km entfernt, mit entsprechenden Abschleppkosten im Falle eines Falles! Mit solchen Gedanken im Hinterkopf fahren wir den Dempster und machen Fahrzeug-Checks noch etwas intensiver als sonst 😉… Shujaa feiert seinen runden 250.000 km Geburtstag auf dieser Piste und auf ihn ist wie immer Verlass: außer den Riss in der Windschutzscheibe haben wir keine Probleme.

Die Landschaft ist entgegen unseren Erwartungen sehr abwechslungsreich und wunderschön. Die Einsamkeit, die fehlenden Kondensstreifen der Flugzeuge, die unendliche Weite ohne ein Zeichen jeglicher Zivilisation machen uns die Abgelegenheit dieses Landstrichs immer wieder bewusst. Die ersten 2/3 der Strecke geht es entlang von Flüssen (manche ganz klar, andere schwefelhaltig orange, wieder andere schlammig braun) und Bergen entlang nach Norden. Man passiert zwei Bergketten (die südlichen Ogilvy Mountains und die nördlicheren Richardson Mountains) bevor es dann hinab in die Tiefebene geht, wo man zwei Flüsse mit Fähren überquert. In der Tiefebene entlang des McKenzie Rivers bekommen wir Temperaturen über 30 Grad und nachts gibt es auch keine wirkliche Abkühlung… da die Sonne ja nicht untergeht 😉! Wir hätten nicht gedacht, dass wir hier – nördlich des Polarkreises – auf der Rückfahrt unseren Übernachtungspatz explizit in die Berge verlegen… aus Temperatur-Gründen.

Die beiden einzigen nennenswerten Behausungen auf der gesamten Strecke – Inuvik und Tuktuyaktuk – sind das Gegenteil von pittoresken Orten. Unsere erlebten Temperaturen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier im Großteil des Jahres Temperaturen von unter -40 Grad herrschen und das Leben hier mit größten Herausforderungen verbunden ist. Allerdings fällt uns, wie auch in anderen „First Nation“-Gebieten, der extreme Müll auf: kein Haus, in dem im Vorgarten nicht verrostete Autos und Quad-Bikes stehen. Ski-Doos werden über den Sommer einfach am Rande des zuletzt befahrenen, zugefrorenen Sees abgestellt und warten – natürlich vor sich hin-rostend – auf den nächsten Winter, bis zur nächsten Jagdsaison. Logisch, warum hunderte von km hin- und hertransportieren. Und dann beobachten wir auch hier das allgegenwärtige Alkohol-Problem der Einheimischen. Im Gegensatz dazu zeigen moderne Schulen und Bibliotheken, dass in diese entlegensten „First-Nations“ Gegenden – auch als historische Wiedergutmachung für Landenteignungen etc. – viele Gelder fließen.

Natürlich nehmen wir im arktischen Meer das obligatorische kurze Bad, bei erstaunlich moderaten Wassertemperaturen und in „Grandma’s Kitchen“ nehmen wir ein klassisches, amerikanisches Mittagessen mit Meerblick ein (getrocknetes Walfleisch hatte sie zum Glück gerade nicht da), bevor wir die 900 km Rückfahrt antreten. Die Landschaft, insbesondere in den Bergen, eröffnet uns in dieser Fahrtrichtung völlig neue Perspektiven, so dass es uns auf der Rückfahrt zu keiner Minute langweilig wird. Insbesondere die Kamm-Straße entlang des Bergrückens zwischen den Richardson- und den Ogilvie Mountains begeistert uns noch mehr als bei der Hinfahrt.

Alles in allem eine Strecke, die wir trotz der vielen km, nicht missen wollen. Angereichert mit vielen Eindrücken aus dem nördlichsten Teil Kanadas kehren wir auf den Klondike Highway zurück und fahren Richtung Südosten.

6 Kommentare

  1. Hallo Karin, Hallo Oliver,

    Es ist immer wieder eine Freude Euren Newsletter zu bekommen. Unsere Reisetätigkeit ist aktuell leider unterbrochen, da wir Anfang April unser Reisemobil ( Actionmobil aus dem Jahre 1996) in der Türkei auf einer Mauer abgelegt haben. Andrea hatte auf einer freien Landstraße einen Speedbump übersehen und ist danach ins Schleudern geraten, in einen immer steileren Graben und ganz am Ende kurz vor dem Stillstand ist das Fahrzeug doch noch um gekippt. Inschalah. Aktuell sind wir dabei das Fahrzeug wieder aufzubauen, aber wir brauchen einen neue Wohnkabine und das wird sich voraussichtlich bis Mitte 2024 hinziehen.

    Uns ist kaum was passiert, meinen Frau Andrea hatte ein paar Splitte im Arm und das Kahnbein in der linken Hand gebrochen, aber das wächst alles wieder zusammen. Sonst ist uns nichts passiert. Bei mir sitzt der Schock noch tief, wie schnell alles vorbei sein kann. Morgens die Fähre für die Rückfahrt gebucht, Nachmittags Totalschaden.

    Euch wünsche ich noch tolle Reiseerlebnisse, genießt jeden Tag. Freue mich auf Euren nächsten Bericht.

    Herzliche Grüße.
    Harald Esters

    1. Liebe Andrea, lieber Harald,
      das ist ja eine Horrorstory. Der Albtraum eines jeden Overlanders. Wie gut, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist. Wir wünschen Euch weiterhin gutes genesen, körperlich, wie psychisch, und einen tollen Neustart. Super, dass Ihr dabei bleibt. Und danke, dass Ihr uns folgt.
      Alles Liebe
      Karin & Oliver

  2. Einmal mehr wunderschöne Bilder und ein wunderbar, geschriebener Reisebericht ❤️

    Weiterhin eine gute und sichere Reise!

    1. Vielen Dank ❤️

  3. Ich freue mich immer wieder
    fürs mitnehmen 😘

    1. Das ist schön 🙏

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