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Abenteuer Transamazonica – Schaffen wir sie oder schafft sie uns?

Was haben wir nicht schon alles von der Transamazonica gehört und gelesen: Mörderische Piste, die man sich nie wieder antun will, in der Regenzeit unpassierbar und in der Trockenzeit totlangweilig, tausende von Kilometern entlang von abgeholztem Regenwald etc. Keiner kann einem wirklich sagen, wie der Straßenzustand ist, geschweige denn wieviel Erdstraße und wieviel Asphalt man zu fahren hat. Wenige Overlander fahren überhaupt nach Brasilien: wegen der nicht unproblematischen Sicherheitslage, wegen der maximal Dreimonats-Aufenthaltsgenehmigung, welche für das fünftgrößte Land der Welt nicht viel ist, wegen der Sprache oder weil es einfach nicht auf der Panamericana – Runway liegt, entlang derer viele Overlander reisen.

Für uns war jedoch immer klar, dass, wenn wir den südamerikanischen Kontinent bereisen, wir Brasilien, als das mit am Abstand größte Land nicht auslassen wollen. Die Transamazonica hatte für uns immer eine besondere Anziehungskraft: zum einen wollten wir uns selber ein Bild machen über das größte Urwaldgebiet der Welt bzw. was davon noch übrig geblieben ist, zum anderen der Mythos und das Abenteuer der Bezwingung einer der schwierigsten und vor allem mit 2.500 km längsten Pisten der Welt. Weil wir bei aller Liebe zu Herausforderungen die Transamazonica aber nicht in der Regenzeit angehen wollten, stellten wir extra unsere geplante Südamerika Reiseroute um und fuhren erst an der Küste Perus nach Norden, besuchten Ecuador und Kolumbien und gingen dann nach der Erkundung des Berglandes von Peru die Transamazonica an. Um es vorwegzunehmen: Auch in der Trockenzeit kann es viel regnen, wir hatten Abenteuer pur mit unfassbaren Erlebnissen und sind jetzt wohlbehalten wieder in der Zivilisation. Aber der Reihe nach:

Nach Schneetreiben im Hochland Perus fuhren wir in einem halben Tag von 4.700 Meter auf 100 Meter in den peruanischen Teil des Amazonasgebietes nach Puerto Maldonado: neben einer extremen klimatischen Umstellung, faszinierten erneut die dramatisch sich ändernden Vegetations- und Landschaftsformen. Da wir schon in Ecuador in einer Luxus-Urwaldlodge einen ausgiebigen Aufenthalt im Regenwald verbracht haben, beschränken wir uns dieses Mal auf einen Tagesausflug per Boot und per Pedes zum sehr schön gelegenen Lago Sandoval: die sehr pittoresken Wasserpalmen, die mit ihren über- und unterirdischen Wurzeln in ein paar hundert Jahren den ganzen See zugewuchert haben werden, die Otter, die wir schnell schwimmend und laut grunzend beobachten können, sowie zahlreiche Wasserschildkröten, die sich auf Baumstämmen sonnen, geben ein schönes Ambiente, welches sich von dem ecuadorianischen Regenwald schon unterscheidet. Die abendliche Flussfahrt zurück nach Puerto Maldonado ist bei der tiefen Sonne sehr stimmungsvoll und heute genießen wir die Dusche in Shujaa besonders – das Wasser ist noch eiskalt von den kalten Anden und erleichtert etwas die Akklimatisation ins tropische Gefilde.

Der Grenzübergang nach Brasilien bei Assis Brasil ist absolut problemlos – der Zöllner spricht sogar Deutsch, da seine Vorfahren aus Deutschland kommen. Soviel zu unseren Sorgen zu Sprachproblemen. Wie immer merkt man die Unterschiede zu Peru sofort: die Menschen haben viel weniger indigenen Einschlag und die Hautfarben sind viel vielfältiger, es gibt riesige Farmen und alles ist irgendwie bunter und lebenslustiger.

Bevor wir auf die Transamazonica kommen, geht es aber erst einmal gut 1.000 km über die Transoceanica: einem großen von Brasilien vorangetriebenen Projekt, welche auf bestens asphaltierten Straßen den Atlantik bei Rio den Janeiro im Osten mit Lima am Pazifik im Westen verbindet und somit die teuren Kosten einer Verschiffung durch den Panama-Kanal einsparen soll. Irgendwie wird diese Straße aber nicht wirklich genutzt, ist aber gut für uns, denn so kommen wir zügig gen Transamazonica voran. Die Spannung steigt und wir decken uns noch einmal mit Diesel, Wasser und Vorräten ein, bevor es dann in Humaitá losgeht.

Wir waren schon ganz gespannt auf den „Regenwald“. Obwohl wir wissen, dass gar nicht mehr so viel übrig ist, zu mindestens an der Transamazonica. Und tatsächlich sind wir mehr geschockt als begeistert. Sehr viel Wald ist bereits der Säge zum Opfer gefallen, danach wird hemmungslos brandgerodet. Überall raucht es und es liegen die wunderschönen großen Bäume verkohlt wie Streichhölzer über die Hügel verteilt. Leider kann man dann aber auch keine wirkliche Nutzung erkennen. Ganze kahle Flächen liegen brach, eine Handvoll Kühe weiden ab und zu auf den Wiesen und nichts wird angebaut. Die Abholzung und Brandrodung sowie die Zivilisation wird gen Osten merklich mehr. Klar, wir fahren auch noch durch „gesunden“ Wald und in der Ferne sieht man die Grenze sehr oft, aber es ist einfach zu viel. Wir sind sehr traurig.

Der Plan war eigentlich, die Transamazonica „light“ zu machen, und über die BR 319 gut 800 km nach Manaus zu fahren, und von dort per Ponton 2.000 km nach Belen an der Atlantikküste zu verschiffen. Die Kombination Piste und Schiff erschien uns als „best of both worlds“. Doch es kommt mal wieder ganz anders.

Wie regelmäßige Leser unseres Blogs wissen, veröffentlichen wir ab und zu Original-Auszüge unseres persönlichen Tagebuches (siehe auch unser dreitägiges Eingraben in der Laguna Llancanielo), wenn es besonders spannend oder intensiv wird, da eine High-Level Blog-Zusammenfassung die Detail-Facetten nicht genügend verdeutlichen würden. Hier die beiden spannendsten Tage auf der Transamazonica:

  1. September:

Heute kommen wir wenig voran und vor allem nicht auf der eigentlich geplanten BR 319. Nach morgendlichem Joggen sitzen wir um 8.00 h hinter dem Steuer und erfreuen uns der gut zu befahrenden Piste… wir hatten soviel über die berüchtigte BR 319 gelesen und wieder schaut alles ganz easy aus.

Nach gut 30 km eine Baustelle: man erneuert eine Brücke (was ja grundsätzlich positiv zu sehen ist) und der Chefe sagt mir, dass in 30 Minuten alles repariert ist. Als sich nach 30 Minuten nichts tut, gehe ich wieder nach vorne und versuche auf „deutsche Art“ ihn an die 30 Minuten zu erinnern. Alle Wartenden sind entspannt, die Brasilianer trinken – obwohl erst 9.00 h morgens – ihre ersten Biere. Ein LKW, mit den für die Reparatur noch benötigten letzten Holzplanken, fährt auf die Brücke.

Ich wundere mich, wieso er die Holz-Planken mit seinem Greifarm nicht VOR der Brücke (da man hier die Stabilisierungs-Stützen des LKWs viel weiter ausfahren könnte und auch der Untergrund viel stabiler ist), sondern AUF der Brücke ablädt…. Aber renovierungsbedürftige Holzbrücken gibt es hier ja viele und die Männer werden schon wissen was sie tun. Während ich mir so meine Gedanken mache und die zahlreichen Frösche, Moskitos und was da sonst so im Sumpf unter der Brücke rumschwirrt beobachte, kippt der LKW direkt vor meinen Augen um …. gaaaaaanz langsam, bis er auf der Brücke einbricht und nur noch sein ausgefahrener Greifarm (welcher samt Ladung in den Sumpf gestürzt ist) ihn vor dem kompletten Absturz in den modrigen Fluss rettet. Der Greifarm-Bediener ist in einem hohen Bogen von seinem LKW in den Sumpf gestürzt, seine Kollegen können ihn aber recht schnell rausziehen und ihm ist zum Glück auch nicht viel passiert – er steht nur unter Schock.

Ob es die unter den ausgefahrenen Stabilisierungs-Stützen ganz außen labile Brücke war, die nachgegeben hat, oder ob einfach der Schwerpunkt mit dem Greifarm und der Plankenlast zu weit außen lag, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist, auch die Holz-Brücke hat schweren Schaden genommen (alle Querbretter sind durchgebrochen) und ist unpassierbar, da der LKW noch halb drauf liegt. Zunächst sichert man den auf der Seite liegenden LKW mittels Drahtseil und einem anderen LKW, dann macht sich der Chefe mit seinem Pickup auf (der dummerweise auf der anderen Brückenseite parkte und damit noch weiter weg von der Zivilisation steht… nach Manaus sind es 700 km durch den Dschungel….), einen Bagger o.ä. zu organisieren. Wir sprechen ja kein portugiesisch und die Übersetzungsfunktion des iPhone hilft nur bedingt, hier Klarheit in diese Situation für uns zu bringen.

Während die anderen wartenden, hochemotionalen Brasilianer irgendwo, zwischen aus Bestürzung heulend und abenteuerlustig Bier trinkend, warten, machen wir uns Gedanken was die Situation für unsere Reisepläne bedeutet. Eigentlich wollten wir die 700 km Urwaldpiste nach Manaus fahren und von dort auf einem Ponton nach Belen an der Atlantikküste verschiffen. So der Plan. Eine direkte Umfahrung der defekten Brücke ist nicht machbar, da der Fluss extrem sumpfig ist, eine andere Straße nach Manaus gibt es nicht und zudem fehlt uns der Glaube, dass sich hier in absehbarer Zeit eine Lösung auftut. Erstens muss ein geeignetes Bergegerät organisiert werden, um den LKW ohne Totalhavarie von der Brücke zu bekommen (m. E. hilft da kein Bagger sondern einzig ein großer Autokran, den wird es wohl aber nur in Porto Velho – 300 km südlich – oder in Manaus – 700 km nördlich geben) und zweitens hat die Brücke nicht nur bei den geborstenen Querplanken, sondern wahrscheinlich auch wegen der stark einseitigen Belastung beim Umkippen des LKWs strukturellen Schaden genommen. Bis der beseitigt wird… und zudem ist noch Sonntag.

Wir sind mitten in Amazonien wo es kaum Straßen und damit Alternativen gibt. Dennoch – und weil wir lieber selber unsere Geschicke in die Hand nehmen, als zu warten und von anderen abhängig zu sein – treffen wir die Entscheidung umzukehren und die eigentliche Transamazonica nach Santarem zu nehmen (statt 700 km nach Manaus auf der eigentlich geplanten BR 319 sind das gut 1.500 km auf wilden Urwaldpisten) und von dort die eigentlich von Manaus geplante Verschiffung nach Belen zu organisieren. Deutlich mehr Fahrerei und ob die Verschiffung von Santarem wirklich klappt, ist fraglich. Wir fahren also nach Humaitá zurück, wo wir mit einer Fähre mal wieder den Rio Madeira überqueren müssen. Es stehen recht wenige Fahrzeuge an, so dass wir davon ausgehen bald rüberzukommen. Weit gefehlt!

Als letzter verlässt ein alter Volvo Sattelschlepper die ankommende Fähre, aber er schafft es nicht, die recht steile, aber immerhin betonierte Rampe aus eigener Kraft hochzukommen. Die Räder, der nur auf einer Achse angetriebenen Zugmaschine, drehen hoffnungslos durch. Man scheint aber für solche Situationen immerhin vorbereitet zu sein, und in kurzer Zeit ist ein Bagger herbeigeholt, der den Volvo an ein Stahlseil nimmt und die Rampe hochzieht. Ich gehe entspannt zu Shujaa zurück, bin gerade wieder im Fahrerhaus und höre dann ein ganz böses, berstendes Geräusch. Das heißt nichts Gutes… das Geräusch war zwar anders als die berstenden Holzplanken beim umkippenden LKW auf der Brücke vor 1,5 Stunden, aber nicht weniger gut. Ich steige wieder aus, diesmal direkt mit Kamera bewaffnet (habe ja gelernt aus dem Vorfall heute Morgen) und gehe wieder zur Rampe runter. Es darf nicht wahr sein: Die gesamte Stoßstange des Volvos einschließlich der Stahl-Längsträger und der Scheinwerfer liegen auf der Rampe, der Fahrer steigt aus und erleidet einen kurzen Nervenzusammenbruch. Nachdem er sich beruhigt hat, fährt er rückwärts auf die Fähre zurück, dabei verkeilt er sich zwischen Bohlen und Fährrampe und nichts geht mehr. Der Fahrer ist nicht mehr in der Lage irgendein sinnvolles Manöver zu fahren, ein anderer der wartenden LKW-Fahrer übernimmt, aber man braucht 30 Minuten, um den eingekeilten Volvo wieder auf die Fähre rückwärts hoch zu fahren. Guter Rat ist teuer: ohne Stoßstange und Längsträger gibt es nichts mehr zum Befestigen eines Seils, und aus eigener Kraft kommt der alte Volvo nicht die Rampe hoch. Nur MAN kann hier noch helfen. Hinter mir steht ein MAN Sattelschlepper und man überredet den Fahrer kurzerhand, den Auflieger des alten Volvos die Rampe hochzufahren. Nachdem beide Auflieger abgekoppelt sind, die Volvo Zugmaschine es ohne Auflieger alleine so gerade mal die Rampe hochgeschafft hat, schafft es der MAN mit angedocktem Auflieger mühelos. Neben der erneut zahlreichen Bewunderung der anwesenden Trucker für Shujaa und der mittlerweile komplett versammelten Dorfeinwohner von Humaitá wäre dies der ideale Werbespot für MAN gewesen, gemäß dem Werbemotto: „MAN kann!“

Was für zwei Erlebnisse: Nun ist es Mittag, unsere Route hat sich mal spontan um mindestens 800 km verlängert (auf der Transamanzonica, die eine Durchschnittsgeschwindigkeit von max. 40 km/h ermöglicht) und wir haben noch keinen Kilometer in unsere neue Richtung geschafft. Als wir von der Fähre runterfahren, überhole ich erst einmal die vor mir fahrenden LKWs, lasse Luft aus den Reifen, überhole wieder und die Piste wird richtig schlecht. So schlecht, dass wir mal wieder Probleme mit einer ausgerissenen Schublade im Innenraum von Shujaa haben. Was für ein Tag!

Als wir abends in Shujaa unseren Wein genießen und den Tag Revue passieren lassen, sehen wir überall starke Wetterleuchten. Wir stehen in zweiter Reihe etwas abseits von der Route. Starker Regen fehlt uns noch, wir werden sehen. Südamerika noch ohne wahre Abenteuer? Dies ist spätestens jetzt in Amazonien Geschichte geworden.

  1. September:

Die ganze Nacht hat es viel geregnet und auch beim Frühstück fängt es wieder an…wir haben ja eigentlich Trockenzeit, aber jetzt kommt es uns eher wie in der Regenzeit vor. Die Asphaltstraße endet kurz nach unserer Losfahrt und bald sehen wir am Seitenrand die ersten Schwertransporter parken, obwohl die Erdstraße zwar nass, aber noch gut fahrbar ist. Wissen die etwas, was wir nicht wissen? Während wir darüber nachgrübeln, kommen wir an das Ende einer Autoschlange, da geht nichts mehr. Wir steigen aus und gehen durch den Matsch nach vorne, wo wir Einsicht auf die Gefällstrecke nehmen können. Ein bergauffahrender Bus und ein LKW stehen völlig quer im Matsch, weiter unten stehen überlange Sattelschlepper auf beiden Seiten der Piste – sie haben angehalten, bevor sie sich ebenfalls eingraben bzw. in den seitlichen Graben rutschen. Obwohl für jedermann klar ersichtlich, dass man in der Situation nicht vorbeikommt, drängen sowohl von unten Fahrzeuge nach oben, als auch von oben Fahrzeuge nach unten. Keiner hält an und jeder will nur irgendwie schnellstmöglich durchkommen, so dass sich das Chaos in kurzer Zeit noch verstärkt: nichts geht mehr, es gibt keinen Platz, um die festgefahrenen Fahrzeuge zu bergen und die ungeduldig und unüberlegt vorbeifahrenden Fahrzeuge haben sich nun ebenfalls festgefahren.

Hier gibt es nun gar keine Umfahrungsalternative, zu allem Übel fängt es wieder stark an zu regnen. Ich gehe zu Shujaa zurück, hole die Gummistiefel und die Regenjacke raus und laufe die abschüssige Piste bis nach unten ab, um mir ein Bild von der Piste und der gesamten Lage zu machen. Das kann Tage dauern bis sich die Lage entspannt und immer noch fahren weitere Fahrzeuge in die Piste rein. Irgendwann wird es den wartenden Überlandbus-Fahrern zu viel und sie sperren mit ihren Bussen oben und unten die Piste ab, damit das Chaos nicht noch grösser wird. Ich denke, bald kommt die Polizei und schweres Bergungs-Gerät, um das Chaos zu beheben, aber falsch (deutsch) gedacht: in den nächsten 5 Stunden passiert diesbezüglich gar nichts. Die Militärpolizei versucht sich in ihrem Jeep auch nur so gut wie möglich durchzuwühlen und jeder ist auf sich alleine gestellt. Die Busfahrer übernehmen mit ihren Bussen und maroden Abschleppseilen die sukzessive Bergung der festgefahrenen Fahrzeuge, rutschen dabei auch wieder in den Graben und müssen von anderen Bussen rausgezogen werden. Teilweise stehen drei Busse an Bergeseilen hintereinander und versuchen sich rauszuziehen. Ein unvorstellbares Chaos. Das einzige Fahrzeug, was hier wirklich helfen könnte, wäre Shujaa – lange überlege ich mit Shujaa in den Bergungsprozess einzusteigen, aber entscheide mich dagegen. Wir stehen zu weit hinten und können uns nicht in eine sinnvolle Bergeposition bringen, die Piste ist extrem rutschig (in Bolivien haben wir uns bei der Bergung eines Taxis im Nachgang selber böse festgefahren) und ich spreche kein Wort Portugiesisch…. was eine Kommunikation nicht gerade erleichtert, vor allem in dieser Situation. Und wo fängt man an und wo hört man auf.

Langsam lichtet sich das Chaos etwas und man lässt die ersten Fahrzeuge von oben nach unten fahren bzw. besser gesagt – rutschen. Die Hauptherausforderung besteht darin, auf der abschüssig extrem glitschigen Piste, zwei überlange, dort auf der Piste einmal links und einmal rechts geparkten Sattelschlepper „slalommäßig“ zu umfahren. Die Brasilianer sind da völlig schmerzbefreit und machen noch Fotos und lachen, wenn sie schon unaufhaltsam in den Graben rutschen. Offenbar sind sie solche Situationen gewohnt. Kaum einer kommt heil runter, aber zu warten scheint für keinen eine Option zu sein, irgendwie wird man aus dem Graben wieder rausgezogen, ob mit oder ohne Stoßstange. Langsam sind alle Jeeps und PKWs von oben durch und die ersten leichten LKWs versuchen ihr Glück. Fast jeder rutscht in den Graben oder kommt nur wenige cm vor den geparkten Sattelschleppern quer zum Stehen.

Ich bin sehr gestresst, laufe nervös auf und ab und durchspiele alle Optionen: Weiter warten und hoffen, dass die Piste noch mehr abtrocknet? Allerdings kommen schon wieder dunkle Wolken auf uns zu, durch das ständige Eingraben der Fahrzeuge wird die Piste auch nicht besser und spätestens, wenn die schweren Sattelschlepper anfangen hinunterzurutschen ist alles aus – die können nicht mehr geborgen werden und dann ist die Piste endgültig dicht. Ich versuche, aus den Beobachtungen des Rutschverhaltens der leichten LKWs Rückschlüsse auf Shujaa’s Fahrverhalten zu machen: wir haben sicherlich deutliche Vorteile bei den Reifen (auch wenn der zweite Satz Michelin XZL ebenfalls schon wieder gut abgefahren ist, aber Stollenreifen hat hier niemand und Luft ablassen macht auch keiner) und auch der Allrad sollte etwas stabilisierend wirken, wenn man Slalom fahren muss – allerdings ist Vortrieb hier ja nicht das Thema, denn man rutscht ja automatisch – auch wenn man bremst. Nachteile haben wir sicherlich beim Gewicht und beim vergleichsweise hohen Schwerpunkt und damit der Kippneigung. Meine Pro-/Con Liste führt natürlich zu keinem Ergebnis, irgendwann fasse ich mir das Herz und hole Shujaa von hinten aus der Schlange wartender LKWs vor. Sicher an die hundert Menschen fotografieren und gaffen als hätten sie noch nie einen LKW gesehen – genau das was man bei höchster Konzentration braucht.

Mittlerweile rutschen auch schon andere Dreiachser vor mir den Hang runter. Der direkt vor mir Fahrende rutscht bis auf wenige cm an den parkenden Sattelschlepper und kommt nicht vorbei, so dass sich der Sattelschlepper-Fahrer aus seiner unter dem Fahrzeug aufgehangenen Hängematte begeben muss, um sein Fahrzeug unter großem Protest zwei Meter zurückzusetzten. Dabei rutscht er unkontrolliert den halben Berg nach unten. Shujaa kämpft zwar auch, um aus der Spurrinne rauszukommen, aber Allrad und alle drei Differentialsperren helfen sehr viel, so dass die erste Schikane relativ problemlos gemeistert wird. Dann kommt die zweite Schikane: die andere Seite, wo fast alle vor mir in den Graben gerutscht sind. Ich muss warten, bis der vor mir fahrende LKW da wieder rauskommt und steige aus. Hinter mir sehe ich – ich kann meinen Augen nicht trauen – einen Tanksattelschlepper auf mich zukommen. Ich, sowie die einzigen vernünftigen Anwesenden – die Busfahrer –, rennen entsetzt auf ihn zu und gebieten ihm anzuhalten. Zu spät, er rutscht nur noch Richtung Shujaa und sitzt grinsend und mit Daumen hoch hinter dem Lenkrad. Als ich gerade zu meinem Führerhaus renne und die Flucht nach vorne antreten will, rutscht der Sattelschlepper wenige Meter hinter Shujaa seitlich in den Graben und verkeilt sich dabei so stark, dass er keine Bedrohung mehr von hinten darstellen kann. Mittlerweile hat es der LKW vor mir irgendwie geschafft aus dem Graben rauszukommen, die Piste ist frei. Gaaaanz langsam und möglichst mittig auf der stark bombierten Piste fahre ich runter. Nach wenigen Metern merke ich, dass ich super Grip habe, komme nicht ins Rutschen und die Busfahrer erheben anerkennend den Daumen. Wir sind das erste Fahrzeug was sich nicht eingegraben hat oder abgerutscht ist. Unten angekommen müssen wir beide ganz tief durchatmen. Wir lassen Luft in die Reifen und aus unseren aufgepumpten Lungen. Im Gegensatz zu allen anderen hier Fahrenden haben wir unser Haus, unser Heim unser Alles dabei, und nicht irgendeinen fahrbaren Untersatz eines Arbeitgebers.

Die weiteren knapp 300 km bis nach Santarem am Amazonas gehen dafür erstaunlich gut und die Piste ist wieder asphaltiert. Wir haben Zeit die letzten 6 Stunden zu besprechen.

Heute sind wir besonders froh, dass wir uns nicht um einen sicheren Stellplatz kümmern müssen, vor allem, weil es bei unserer Ankunft schon fast dunkel ist, denn wir können zu Vitors Haus fahren. Vitor haben wir gestern auf der Fähre bei Humaitá ganz kurz – quasi beim runterfahren – kennen gelernt. Er ist Captain bei der brasilianischen Armee und hatte uns angesprochen. Seine Frau sowie seine zwei Töchter wohnen auf dem Militärstützpunkt in Santarem, während er unter der Woche als Ingenieur beim Straßenbau im Outback hilft (was auch insbesondere nach den Erfahrungen des heutigen Tages dringend notwendig ist). Auch wenn die Torwachen mit ihren Maschinengewehren zunächst sehr irritiert schauen als wir mit Shujaa zum Gate vorfahren, werden wir dann doch relativ zügig reingelassen und verbringen trotz der Müdigkeit und Anspannung nach den Erlebnissen des heutigen Tages noch einen netten Abend mit Vitor’s Frau Mariana. Das macht die Faszination unseres Reisens aus…. Stress und Abenteuer pur und dann nur wenige Stunden später solche Erlebnisse mit einem starken Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Danke Vitor, das ist wirkliche Gastfreundschaft.

Nach diesen Abenteuern genießen wir erst einmal für zwei Tage die Umgebung von Santarem am Amazonas. Wir fahren nach Altor do Chao einem der schönsten Plätze in ganz Amazonien. Das blaue Klarwasser des Rio Tapajos hat hier zahlreiche Inseln, Sandbänke und Strände gebildet, die malerisch in der Trockenzeit ein karibisch anmutendes Ambiente bilden (in der Regenzeit sind die meisten Strände überspült). Wir setzen auf eine der Inseln – die Ilha de Amor – mit einem kleinen Bot über und bei einem der zahlreichen Strandrestaurants nehmen wir – auf Plastikstühlen am Wasser sitzend – ein kühles Bier und unsere ersten echt brasilianischen Caipirinhas zu uns. Karin’s schlechte Laune ob der Fährproblematik (es hat sich leider herausgestellt, dass es keine sinnvollen Verschiffungsoptionen für ein Fahrzeug mit der Größe von Shujaa von Santarem nach Belen gibt, so dass wir weitere 1.500 km entlang der Transamazonica und Richtung Atlantik fahren müssen) ist wie weggeblasen und wir haben nach den Strapazen der letzten Tage entspannende Stunden. Das Wasser im Rio Tapajos, der hier see-ähnliche Ausmaße besitzt, hat sicher über 30 Grad und die Lebenslust, aber auch der Körperkult der Brasilianer ist bemerkenswert – genauso wie der Alkoholkonsum. Zudem ist heute der brasilianische Unabhängigkeitstag, so dass so richtig Gas gegeben wird.

Am nächsten Tag machen wir noch eine private Bootsfahrt entlang des Zusammenflusses von Amazonas (braunes Wasser) und Rio Tapajos (klares Wasser). Die Wasser-Farben vermischen sich aufgrund der unterschiedlichen Temperaturen auf einer Strecke von 10 Kilometern nicht, wir setzten auf eine Insel über und haben schöne Naturereignisse.

Wieder in Santarem angekommen, werden wir von einem bayrischen Auswanderer angesprochen, der hier seit 2 Jahren ein kleines Restaurant besitzt und diskutieren viel über die Regenwaldabholzung, die Kriminalität und vor allem über lokal typisches Essen.

Abends verabschieden wir uns von Mariana und ihren Kindern und bekommen eine Einladung zu Captain Vitor’s Eltern nach São Luis – unserem nächsten großen Fernziel. Karin bekommt von Mariana noch eine große Portion Açai – eine sehr gesunde Urwaldfrucht, die man nur hier frisch konsumieren kann – und wir freuen uns nach unserer Bekanntschaft mit Piero und Patty in Cusco weitere gute Bekannte hier in Santarem gefunden zu haben.

Die weiteren 1.000 km bis zum Ende der Transamazonica bei Maraba sind lang und teilweise mühsam zu fahren. Erneut haben wir nachmittags Regen, Sturzbäche überfluten in kürzester Zeit die Piste und es wird extrem rutschig. Shujaa schwänzelt ein paar Mal mit dem Hintern von links nach rechts, aber bleibt auf der Piste. Der große Vorteil ist diesmal, dass wir fast allein auf der Piste sind und somit können wir ungehindert von anderen uns voll auf uns konzentrieren.

Am Ende der Transamazonica ist erst einmal Großputz bei Shujaa angesagt. So verdreckt war er noch nie, zentnerweise muss rote Erde per Hochdruckreiniger abgetragen werden und alle Türen und Staufachklappen sind total verschmiert – aber irgendwie macht es auch Spaß die Reste dieses Abenteuers zu entfernen und uns wieder „zivilisations-fein“ zu machen.

2 Kommentare

  1. Spannend! Ähnliche Situationen kenne ich aus Mosambik

  2. da kriegt man ja Puls beim Lesen und Zuschauen…

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