2019AfrikaGefühleNamibia

Zwei Seiten in mir: Die Angst und das Abenteuer

Heute sind wir auf einem Quad-Trip der besonderen Art. Wir fahren 3,5 h lang über 80 km ein Trocken-Flusstal (Rivier) entlang, auf kleinsten Pfaden. Dies ist an sich noch nichts Besonderes, aber wir befinden uns in Afrika, in Namibia, und wir wissen und sehen an den Spuren, dass es hier viele Tiere gibt, auch gefährliche und auch große. Hier habe ich einen inneren Zwiespalt, der während der ganzen Fahrt ständig in mir miteinander ringt und heftigst diskutiert. Hin und her. Her und hin. Nennen wir die Angst „sie“ und das Abenteuer „er“.

Wir starten morgens früh, damit es noch nicht so heiß ist. Mit Shujaa stehen wir in einem kleinen, höher gelegenen und uneinsehbaren Seitental mit wunderschönem Ausblick auf das Damaraland und das entfernte Brandberg-Massiv. Oliver hatte in verschiedenen Blogs und in iOverlander gelesen, dass das von unserem Stellplatz gut 40 km entfernte Desolation-Valley wunderschön sein soll und besonders einsam. Endlich sind wir hier (die besonderen Hürden die wir zu überwinden hatten wird Oliver noch in seinem Blog erzählen) und fahren also mit dem Quad (die Mini-Wege waren viel zu klein für Shujaa), in Richtung dieses Tals. Bewaffnet mit Wasser, SAT-Telefon, Fotoapparat und Reservekanister machen wir uns mit unserem stauberprobten Outfit (Haare gut abgedeckt, eh schon dreckige Klamotten) auf hinein inmitten des Fech-Fech-staubigen Huab Tals, das in der Fortfolge eben in dieses zauberhafte Desolation-Valley des gleichen Flusses übergehen soll.

Zuerst führt es uns etwas tiefer von unserem Standort, über teilweise fußballgroße Felsbrocken hinab in das Flusstal. Ringsum Hügel und auch größere Berge, in sanftem rötlichem Ton. Unter uns an den Hängen ein Haufen Steine auf der kaum wahrnehmbaren Piste, aber doch folgen wir dieser. Zunächst alles schön. Ein traumhafter Blick über die Weite auf die Berge hinab in das Tal im weichen sanften Morgenlicht, das durch die zarten trockenen Grasbüschel golden schimmert.

Er: „Da … eine sehr große Straußenherde. Wie cool … so eine große Ansammlung habe ich noch nicht gesehen. Das sind sicher 50 Tiere.“

Sie: „Ja, wunderschön, aber da fällt mir ein, vielleicht sehen wir auch noch andere Tiere? Hoffentlich wird es nicht gefährlich“.

Er: „Quatsch, was soll da gefährlich sein, wir sind doch auf unserem schnellen und lauten Quad unterwegs, das vertreibt eh alle gleich. Schau nur, wie die weg laufen.“

Sie: „Und schau da, man sieht sogar auf dem Weg Elefantenspuren. Mein Gott sind die Fußabdrücke groß – wie Platzteller. Elefanten-Dung liegt hier auch massenweise rum, aber man sieht auch deutlich, dass er schon etwas älter ist. Puhhh, zum Glück.“

Er: „Na ja, an sich würde ich die Elefanten schon gerne sehen, hoffentlich begegnen uns welche. Vielleicht auch Babies. Eine möglichst große Herde wäre toll.“

Sie: „Hm, vielleicht ist es auch besser wir begegnen keinem Elefanten. Vielleicht sehen wir sie zu spät, weil wir um eine Kurve biegen und sie greifen uns erschrocken an. Wir sind doch Peanuts für die, auf unserem kleinen Quad. Die sind verdammt schnell. Und dann können wir nicht hurtig davon düsen, weil es der Weg und die Schlaglöcher gar nicht erlauben.“

Er: „Egal, wir werden das schon machen. Irgendwie gibt es immer einen Weg und schließlich werden hier die Einheimischen auch nicht jeden Tag von Elefanten aufgespießt.“

Sie: „Welche Einheimischen? Siehst Du hier irgendwen? Kein Mensch weit und breit … d. h. aber auch, dass uns auch kein Mensch helfen kann, wenn wir in eine bedrohliche Situation kommen. Wir sind völlig auf uns alleine gestellt. Wir hätten zu mindestens das Tränenspray und den Schlagstock mitnehmen sollen. Wenigstens etwas. Und ein Ersatzreifen! Was, wenn wir uns hier mit all den spitzen Steinen einen Platten fahren … alle Ersatzteile und Werkzeuge sind doch bei Shujaa?!“

Er: „Mensch, sei doch nicht so pessimistisch. Wir haben das doch schon so oft gemacht. Es wird schon nichts passieren.“

Inzwischen sind wir im Tal angekommen und folgen auf sehr sandigen Pisten dem Tal gen Westen. Es staubt wie verrückt und wir sind binnen Sekunden paniert und bis in jeder Ritze völlig verdreckt. Rechts und links stehen mannshohe, undurchsichtige Büsche und der Weg führt in Schlangenlinien durch das Rivier. Der Sand wurde vom Regen ausgewaschen und hat einen kleinen Canyon gebildet, der circa 2 m hoch rechts und links neben uns zu sehen ist.

Sie: „Na das fehlte mir grad noch. Eben hatte ich noch ganz gute Übersicht, weil wir vom Hang runterkamen, aber jetzt im Tal sehe ich gar nichts mehr. Nicht mal zwei Meter hinter die Kurve oder hinter die Büsche. Hier kann sich alles verbergen. Wenn der Säbelzahntiger doch überlebt hat …, aber den brauche ich gar nicht, ein Leopard würde schon vollends ausreichen.“

Er: „Übertreib nicht so maßlos. Wir fahren hier friedlich ein Flusstal entlang und vielleicht waren hier seit Wochen keine Tiere mehr.“

Sie: „Soso, keine Tiere … und was ist das? Absolut frische Löwenspuren. Man sieht es deutlich an der scharfen Kante des Fußabdruckes im Sand. Superaktuell. Bei dem Wind und dem leichten Fesch-Fesch würde das in 1 h schon anders aussehen. Und jetzt? Was machen wir jetzt? Wir können hier unmöglich weiterfahren. Und sie gehen auch noch in unsere Richtung, d. h. sie werden also quasi immer „frischer“.“

Er: „In der Tat, das sind neue Spuren. Interessant. Spannend, vielleicht sehen wir tatsächlich noch einen Löwen. Das wäre klasse. Löwenfotoshooting mit dem Quad. Das hat was. Das ist aber nur eine Spur. Schade eigentlich, mehr wären besser. Aber dieser eine ist recht groß. Schaun mer mal …“

Sie: „Gott sei Dank. Die Spuren sind weg. Hoffentlich hat er sich in eine andere Richtung verzogen. Ich muss unbedingt alles genau abscreenen. Keine Sekunde unaufmerksam. Jeden Busch, jede Spur, Horizont, genau um uns in der Nähe, immer wieder, und von vorne. Mist, jetzt müssen wir auch noch umdrehen, hier geht es nicht weiter, bloß nicht stehen bleiben. Immer rollen, das ist sicherer.“

Er: „Ich werde es schon rechtzeitig sehen, wenn was ist, dann müssen wir eben klug reagieren. Wenn zu nah, stehen bleiben und sich totstellen. Und wenn weiter weg, einfach davonfahren. Das dürfte doch nun wirklich nicht so schwer sein.“

Sie: „Bist Du nun völlig übergeschnappt? Totstellen?! Was soll das denn. Dann kann ich mich ihnen gleich zum Fraß vorwerfen. Apropos … was schmeckt ihnen an mir wohl besonders? Mein Hintern? Meine Brüste? Aber insgesamt bin ich sicher nicht sehr nährend. Oliver noch weniger, an ihm ist ja gar nichts dran. Merken die das? Ne, denke ich nicht, die nehmen alles was sie bekommen können.“

Er: „Komm jetzt mach halblang. Wir sind auf dem Quad doch wie ein Auto – schließlich haben wir gelernt, dass Löwen schlecht sehen und etwas Viereckiges interessiert sie nicht.“

Sie: „Das ist doch Augenwischerei, wir sind kein Würfel, sondern zwei fahrende Fleischklöpse. … Das fehlt nun gerade noch, jetzt sind zwar die Spuren etwas kleiner, aber mehrere, nun in beide Richtungen. Ok, gleich ein ganzes Rudel …“

Er: „Wir haben alles voll im Griff. Oliver hat schließlich auch kein Schiss und schau, da sind sogar menschliche Fußspuren. Also da ging einer hier durch. Alles kein Problem also.“

Nachdem wir einmal umdrehen mussten, weil wir nicht durch das Tal durchkamen, sind wir fast am Ziel. Mitten im Flusstal ist es ganz grün. Schilf steht Halm an Halm ganz eng und verhindert eine Sicht hindurch.

Sie: „Es kommt immer Schlimmer. Jetzt sollen wir auch noch durch dieses Dickicht. Schwups und der Löwe springt uns ins Genick. Und wir merken es nicht mal. Oliver fahr bitte ganz schnell, denn hier kann ich gar nichts abscreenen, am besten ich mache die Augen zu.“

Er: „Schau nur wie schön grün es hier ist. Und wie interessant, der Boden ist hier trotz Wüstengebiet ganz feucht. Tolles Rivier. Die Berge drum herum, wie imposant. Und es wird immer enger. Einfach fantastisch.“

Sie: „Na endlich jetzt geht es wieder einen Geröllberg hinauf. Hier habe ich das Gefühl sicher zu sein, weil keine Hindernisse und ich habe den Überblick.“

Er: „Dass ich nicht lache. Den Überblick? Du meinst wohl die Kontrolle. Gar nichts hast Du. Kontrolle gibt es hier nicht. Lass los. Ist doch eine grandiose Übung.“

Endlich angekommen auf dem Berg erwartet uns eine phänomenale Aussicht über das Desolation-Valley. Wunderbare rote Berge um ein Flusstal mit Sanddünen und ein grüner Schilfgrasstreifen in der Mitte, der sanft im Wind rauscht. Ein schönes Farbenspiel und eine Ruhe. Hier ist es wirklich einsam. Wir bleiben ein Weilchen und genießen die Aussicht. Dann geht es wieder zurück und alles beginnt von vorn …

Sie: „Oh nein, und nun wieder durch die enge Verbindung. Das überlebe ich nicht. Aber falls doch, schreibe ich einen Blog. Hör auf über sowas nachzudenken und konzentriere Dich gefälligst auf die Büsche …“

Er: „Ach beim zweiten Mal ist es doch halb so wild. Alles schon gewohnt und die Tiere sind sicher schon beim ersten Mal durch den Lärm geflüchtet.“

Sie: „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Inzwischen hatten sie auch wieder Zeit zurück zu kommen.“

Er: „Wie cool ist das denn, schau da drüben, da staubt es und es ist ganz sicher kein Auto. Und auch keine Windhose. Vielleicht jagt ein Löwe oder vielleicht kämpfen sie. Lass uns hinfahren, das sind sicher nicht mehr als 1 km.“

Sie: „Bist Du lebensmüde?! Nichts machen wir, nix wie weg hier. Bald haben wir es geschafft, da provoziere ich doch kein Schlachtfest. Da vorne sehe ich schon den Ausgang vom Tal.“

Schlussendlich habe ich keine Ahnung wie andere empfinden. Wirklich real gesehen haben wir nur die Straussenherde und ein paar Affen. Vielleicht bin ich eine Memme, vielleicht bin ich aber auch mutig oder in jedem geht ein solches Zwiegespräch ab in solch einer Situation. So oder so, war es für mich eine tolle Erfahrung, auch diesen beiden Seiten zu lauschen,  und ich lebe noch.

Es ist schon faszinierend, wie doch der Geist und die Einbildung einem Streiche spielen, wenn man vermeintlich meint die Kontrolle zu verlieren. Wir spazieren nur einen Tag später, wohlgemerkt zu Fuß, einen ähnlichen Canyon entlang, mit guter Sicht und mehr Autospuren und nichts davon kommt wieder. Es ist einfach nur ein „Spaziergang“. Und Oliver geht sogar Joggen …

2 Kommentare

  1. Liebe Karin, das kann ich total nachempfinden!! Es wäre mir genau wie Dir ergangen! Wahnsinn, was der Verstand mit einem macht, wenn er die Kontrolle verliert. Sehr, sehr eindrucksvoll! Wie schön, dass das Abenteuer gut ausgegangen ist……. und da bin ich bei Dir, das hätte auch anders aussehen können….. wem also lassen wir den Vortritt? Dem Verstand und Abenteurer oder dem Gefühl, der Intuition, die auch als Angsthase zählen mag? Ich wäre nach der Tour vermutlich in Tränen ausgebrochen, aus Erleichterung. Ähnlich so nach einer Tiefschneeabfahrt erlebt, bei der ich auch gefühlt 1000 Tode gestorben bin. Sei umarmt, Moni

    1. Liebe Moni,

      vielen Dank für Deine gefühlvollen Worte.

      Ja, es ist komisch, vor allem, weil man ständig irgendwie zwischen standhaft sein und sich selbst sein herumschwirrt. Was natürlich nicht immer dasselbe ist. Wir haben gerade mal den Anfang mit wilden Tieren … schaun mer mal was noch kommt …

      Liebe Grüße
      Karin & Oliver

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