Jetzt (!) fühlt es sich normal an. Jetzt erst, nach fast vier Monaten. Jetzt sind unsere Routinen etabliert. Morgens aufstehen (ohne Wecker natürlich), Oliver macht Kaffee, ich brauche etwas länger, was Oliver jeden Tag von Neuem überrascht, Haus aufräumen und fertigmachen, Abfahrtskontrolle, Oliver außen rum, ich innen durch. Fahren, Fotopausen, Sight-Pausen, Mittag essen, weiterfahren. Standplatz suchen, rumprobieren bis Shujaa gerade steht, Sundowner mit Gin Tonic, Nüssen und Oliven, wahlweise mit Bier oder alkoholfreiem Bier. Essen machen, lesen, Fotos anschauen und bearbeiten, schlafen. Wenn wir nicht den ganzen Tag fahren, dann stehen wir natürlich an einem schönen Ort, dehnen die Lesepausen aus, arbeiten im Internet, Oliver macht Sport, ich Yoga, oder wir genießen schlicht die Umgebung.
Klingt langweilig? Ist es aber nicht. Es sind Routinen, wie wir sie alle haben und brauchen. Das ist unser spezieller Rahmen, und dazwischen spielt sich eine Menge anderer unerwarteter oder wunderbarer Dinge ab, wie atemberaubende Natur, überraschende Begegnungen oder plötzliche Reparaturen. Die sind übrigens allgegenwärtig, ständig, … immer schrauben, kleben oder prüfen wir etwas. „Hast Du das Geräusch gehört?“ „Ja, was kann das sein, das habe ich vorher noch nie gehört …“ „Ich glaube da hat sich eine Schraube gelöst, die nun vibriert …“
Und wir als Paar arbeiten ziemlich intensiv aneinander, weil wir so eng zusammen sind wie nie. Man entdeckt neue Seiten, lernt den anderen nochmals auf eine andere Art zu schätzen, außerhalb der Komfortzonen. In Krisen kommt man nicht aus oder kann sich in Arbeit flüchten. Dann lenkt man schneller ein, denn auf einer solchen Fahrt ist Einsamkeit und Streit ziemlich blöd. Sicher ist, dass es bearbeitet wird und nicht weg geschoben. Das geht hier gar nicht. Das ist ein großer Unterschied zu zu Hause. In diesem Prozess fühle ich uns sanfter, liebevoller, rücksichtsvoller, lernwilliger. Das Geschenk der Liebe wird größer.
Inzwischen kommt auch ab und an Heimweh auf. Zum ersten Mal seit Monaten. Heimweh nach den Freunden, nach der Familie, nach dem „großen“ Heim, nach speziellen Dingen zu essen, obwohl wir uns hier in Argentinien und Chile wirklich (noch) nicht beschweren können.
Und die Lebenszeit erlebe ich persönlich viel intensiver. Früher im Job sind die Tage nur so an mir vorbei gerauscht. In Routine und Stress, war jedes Mal im Nu ein Monat vorbei und jedes Mal habe ich mich gefragt, was habe ich eigentlich diesen Monat geschafft, obwohl man Massen an Themen bearbeitet und erledigt hat. Heute ist jeder Tag anders, der Rahmen der Routinen ist gut und wichtig, aber dazwischen füllen Unmengen an Unbekanntem und schlicht Atemberaubendem die Lücken.
Es ist zudem nicht einfach, weil wir ja spätestens aus der Psychologie wissen, dass diese Unwägbarkeiten ständiger Stress verursachen und das ist teilweise auch deutlich zu spüren. Denn der Heimweg vom Büro nach Hause durch den 1.000 mal gefahrenen Wald ist eben nicht das gleiche wie 10 km schmale Straße, bei der wir zu Beginn des Wegs nicht wissen ob wir durchkommen, Oliver zu 100% aufmerksam die Straße und das Umfeld beobachtet und ich aus dem Fester hänge, um ihm in cm Schritten die Abständen zu den Mauern oder Steinen durchzusagen. Aber dieses Leben empfinde ich persönlich als so pur, unverfälscht und naturnah, dass die Lebensfreude ganz anders spürbar ist. Gottes Schöpfung, ob man gläubig ist oder nicht, kann ich jeden Tag sehen und ich bin so unglaublich dankbar, das in meinem Leben erleben zu dürfen.
Sommerlich beschwingte Grüsse aus der Schweiz!
Danke und von uns aus Ecuador (inzwischen wieder)
… und ich bin dankbar, dass ich das lesen durfte….. lebt ein paar Momente für alle Daheimgebliebenen mit! 🙂
Das machen wir, Silke. Jetzt, in Sucre (Bolivien), in strömendem Regen, geben wir gerne was ab 😉 Nein, im Ernst, uns ist unser Privileg bewusst und wir denken an Euch, aber schicken Euch auch Mut, falls der Wunsch groß genug ist, es uns nachzumachen, in irgendeiner Form.
Liebe Grüsse
Karin & Oliver